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365 Tage Corona: So geht es den Musikschullehrkräften wirklich

Nach der Verkündung eines landesweiten Lockdowns im März 2020 brauchten die meisten Musikschulen rund eine Woche, um den Schock zu verkraften und sich neu zu orientieren. „Wir müssen trotzdem Musik machen“, war an allen Musikschulen in Schleswig-Holstein die Devise, sodass schnell digitale Musikschulangebote entwickelt wurden. Klavierlehrer Mert Yesilmenderes, Saxophonlehrer Markus Schmidt-Relenberg, Flötenlehrerin Katja Krüger, Klarinettenlehrerin Sigrid Rudl-Kujus, Pop-Gesangslehrer Thomas Plath, Schlagzeuglehrer Stefan Bihary und viele mehr berichten von unzähligen Online-Meetings mit dem ganzen Kollegium und der Musikschulleitung, um kurzerhand einen qualitativ hochwertigen Online-Musikschulunterricht anbieten zu können.

„Es war ein Kraftakt und erforderte ein komplettes Umstrukturieren und Umdenken. Doch besonders wir Honorarkräfte wussten, dass das Anbieten eines Online-Musikschulunterrichts die einzige Möglichkeit ist, damit kein bzw. kaum Musikschulunterricht ausfallen muss“, so Mert Yesilmenderes.

 

Für Honorarkräfte, die nur für jede tatsächlich durchgeführte Musikschulunterrichtsstunde bezahlt werden und über wenige soziale Sicherheiten verfügen, stellte der Lockdown eine besonders große Gefahr für die eigene Existenz dar. Viele Musikschulen in Schleswig-Holstein konnten ihre Honorarkräfte weiter unterstützen, doch die Pandemie ist noch nicht zu Ende und die finanziellen Reserven der Musikschulen werden kleiner. Deshalb kämpfen die Musikschullehrkräfte seit 365 Tage, jeden Tag.

Während Markus Schmidt-Relenberg (Saxophonlehrer an der Musikschule Kiel) durch Corona fast 80% seiner Schüler*innen verloren hat, berichtet Mert Yesilmenderes (Klavierlehrer an der Kreismusikschule Ostholstein) sogar von einem leichten Zuwachs. Er unterrichtet seit Dezember 2020 gleich drei neue Musikschüler*innen, die er allerdings aufgrund des anhaltenden Lockdowns nur digital kennt. Mert scheint damit aber die große Ausnahme zu sein, denn auch Katja Krüger (Flötenlehrerin an der Kreismusikschule Segeberg) und Stefan Bihary (Schlagzeuglehrer an der Musikschule Kiel) haben Schüler*innen während der Corona-Krise verloren und auch weitere Kolleg*innen berichten von fehlenden Neueinsteiger*innen.
Die Gründe hierfür sind verschieden: Besonders ältere Personen werden durch die technischen Hürden gehemmt, die der Online-Unterricht mit sich bringt. Auch schlechte Internetverbindungen in ländlicheren Gebieten oder fehlende Hardware entmutigen selbst technikaffine Musikschüler*innen, sodass sie eine coronabedingte Musikschulpause einlegen. Das ständige Sitzen vor dem Bildschirm und das fehlende Zusammenspiel mindert die Freude am Musizieren, sodass sich Musikschüler*innen auch deswegen gegen den Online-Musikschulunterricht entscheiden.

 

Das Thema Online-Musikschulunterricht ist ein schwieriges. Dennoch hat der Online-Musikschulunterricht Vorteile offenbart: Neben einem leichteren Zeitmanagement seitens der Schüler*innen bspw. durch den Wegfall von Fahrzeiten konnten viele Musikschullehrkräfte u.a. auch eine Entwicklung hin zu mehr Selbstständigkeit beobachten. Sigrid Rudl-Kujus (Klarinettenlehrerin an der Musikschule Norderstedt) berichtet, dass sie auch selbst etwas dazugelernt hat: „Im Online-Unterricht müssen die Schüler*innen Eintragungen selbst ausführen und auch das Zählen kann ich aufgrund der Zeitversetzung in der Video-Konferenz nicht durchführen. Mir wurde durch den Online-Unterricht erst bewusst, wie oft ich solche Dinge im Präsenzunterricht übernehme, um Zeit zu sparen.“ Auch Stefan Bihary berichtet von Vorteilen:

 

„Durch den Online-Unterricht hat man einen Einblick erhalten, wie die SchülerInnen zuhause üben. Ich kann so sehen, ob bspw. das Schlagzeug falsch aufgebaut ist und kann daher im Unterricht verstehen, warum der Schüler bzw. die Schülerin bestimmte Fehler macht und so auch schneller Lösungen finden.“

 

Alle sechs befragten Musikschullehrkräfte sind sich jedoch einig, dass der Musikschulunterricht von Begegnungen an einem Ort lebt und dass gemeinsame Auftritte und Projekte sowie das Zusammenspiel die Musikschule als Ort ausmachen. Für einige Musikschullehrkräfte war daher der Präsenz-Einzelunterricht, der im Sommer 2020 unter strengen Hygienevorschriften in einigen Musikschulen wieder möglich war, eine kurzzeitige Erleichterung. Mert Yesilmenderes empfand diese Unterrichtsvariante zwar als sehr aufwändig, da die strengen Hygienevorschriften, wie das Desinfizieren aller Türklinken und Instrumente nach jedem Unterricht oder das Abholen jeder Schüler*in am Eingang, viel Zeit in Anspruch genommen haben, führte diese aber gerne und bereitwillig durch, da so ein einigermaßen normaler Musikschulunterricht möglich war. Auch Markus Schmidt-Relenberg empfand die Möglichkeit des Einzelunterrichts trotz Mehraufwand als die bessere Unterrichtsform: „Durch die vielen Hygienevorschriften und Spuckschutze hat man sich sehr sicher gefühlt und so konnte man endlich wieder gemeinsam Musik machen. Beim Präsenzunterricht entsteht ein ganz anderes Gefühl und man hat wieder die Freude in den Augen der Schüler*innen gesehen“.


Anders erging es beispielsweise Katja Krüger. Da wie viele andere Musikschulen in Schleswig-Holstein auch die Kreismusikschule Segeberg an verschiedenen Standorten auf Räumlichkeiten von allgemeinbildenden Schulen zurückgreifen muss, war ihnen lange das Unterrichten in Präsenzform verwehrt. Aufgrund von Hygienerichtlinien durften auch außerhalb der regulären Unterrichtszeiten oftmals keine Räume an Institutionen wie Musikschulen vermietet werden. Katja Krüger hatte zwar Glück, weil sie teilweise auf Räume örtlicher Kirchen ausweichen durfte, musste jedoch, wie viele ihrer Kolleg*innen (auch landesweit), einen Großteil ihres Unterrichts, trotz der grundsätzlichen Möglichkeit Präsenzunterricht zu erteilen, online durchführen.

 

Die Musikschullehrkräfte sind trotz all dieser Herausforderungen sehr dankbar für die Mitarbeit ihrer Musikschüler*innen und die Wertschätzung, die sie erfahren.

 

„Die Wertschätzung des sonst selbstverständlichen Musikschulunterrichts hat auf beiden Seiten stark zugenommen. Kontinuität ist für alle wichtig und die Nachteile des Online-Unterrichts, wie schlechte Klangübertragung oder das fehlende Zusammenspiel, werden dann hinnehmbar. Und eins macht Mut: Nach einer gewissen „Online-Zeit“ wird es wieder Präsenzunterricht geben und wir können online Erarbeitetes dann gleich gemeinsam musizieren“, so Sigrid Rudl-Kujus.

 

Hinsichtlich der Zukunft der Musikschullandschaft sind sich die Lehrkräfte einig, dass das Thema Digitalisierung wichtig bleibt. Corona hat für einen gewaltigen Digitalisierungsschub auch in der Musikschullandschaft gesorgt. Die Kolleg*innen sind nun stärker vernetzt, neue Verwaltungsstrukturen und Ansätze sorgen für neue Projektideen und Auftrittsmöglichkeiten. Thomas Plath (Musikschullehrkraft für Populäre Musik an der Musikschule Norderstedt) überlegt: „Man könnte z. B. nach der Pandemie größere Musikschulkonzerte mit Publikum simultan streamen und so noch mehr Menschen erreichen.“ Eine Idee, die wahrscheinlich vor Corona gar nicht in Betracht gezogen wurde.

 

 

Abschließend wollten wir wissen, ob der Online-Musikschulunterricht aus Sicht der Lehrkräfte eine langfristige Unterrichtsalternative sein könnte. Alle Musikschullehrkräfte waren sich einig, dass der Präsenzunterricht alternativlos ist und sein wird. Der Mehrwert und die Emotionen bei den Begegnungen vor Ort und dem gemeinsamen Musizieren in einem Raum können auf keine andere Weise erreicht werden. Auch Projekte, Auftrittsmöglichkeiten oder Wettbewerbe fehlen den Lehrkräften und Musikschüler*innen immens und können durch Online-Alternativen nicht langfristig ersetzt werden.


Für einige Musikschullehrkräfte wäre ein gelegentlicher Online-Musikschulunterricht auch in der Zeit nach Corona denkbar. Thomas Plath hat die folgende Erfahrung gemacht: „Themen wie Analyse, Musiktheorie, Stilkunde oder Übungs-Strategien können online sehr gut vermittelt werden – mit dem ergänzenden Einsatz weiterer digitaler Medien teilweise sogar besser als vor Corona. Alles, was Interaktionen einschließt, erfordert aber zwingend einen gemeinsamen Ort.“
Es gibt jedoch auch viele Lehrkräfte, die den Online-Musikschulunterricht in einer Zeit nach Corona kategorisch ausschließen. Das ist besonders bei Lehrkräften der Fall, die im Bereich Begabtenförderung unterrichten.

 


Fest steht, dass die Musikschulen und ihre Lehrkräfte immer ihr Möglichstes tun werden, um jedem Menschen in Schleswig-Holstein musikalische Bildung zu ermöglichen – auch in Krisenzeiten.

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